Montag, 4. November 2013

SVP Familieninitiative - was hat das mit Gerechtigkeit zu tun?

Auch wenn es viele nicht glauben wollen: unsere Steuergesetzgebung folgt einer Logik. Die Logik besteht darin, dass man die Kosten, die beim Erwerb von Einkommen anfallen (Gestehungskosten), wenigstens teilweise von den Steuern abziehen kann. Ziel ist es, so gut es geht das „Reineinkommen“ zu besteuern. Bei Firmen wird ja auch der Gewinn und nicht der Umsatz besteuert. Aus diesem Grund können Fahrspesen, auswärtige Verpflegung etc. von den Steuern abgezogen werden.

Die SVP Familieninitiative will nun diese klare Logik ad absurdum führen, indem sie Abzüge für Kosten gewährt, die gar nicht anfallen, nämlich für die Kinderbetreuung. Dieser Logik folgend müssten auch Heimarbeiter nicht vorhandene Fahrkosten und Mieter ihre nicht vorhandenen Hypothekarschulden von den Steuern abziehen können. Es ist nicht einzusehen, wieso das gehen soll.

Mit dem Vorwurf, das jetzige System sei für Eltern, die ihre Kinder zu Hause selber betreuen, sei ungerecht und bevorzuge die „Fremdbetreuer“, sollte man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Denn aufgrund der herrschenden Steuerprogression wird das Zweiteinkommen, das durch Fremdbetreuung erzielt werden kann, überproportional besteuert. Das heisst, dass die vermeintlichen Profiteure am Schluss gar keine Profiteure mehr sind, weil sie einen schönen Teil des Zusatzeinkommens als Steuern an die Allgemeinheit abführen. Wer also laut „Unrecht“ schreit, müsste konsequenterweise die Steuerprogression abschaffen!

Wenn irgendwo Unrecht geschaffen wird, ist es durch die Initiative: Heimbetreuer können Abzüge für Kosten geltend machen, die sie nicht haben (ein Verzicht ist noch keine Auslage), Fremdbetreuer hingegen sollen zusätzlich noch die Steuerprogression bezahlen? Aber hallo?

Womit wir beim Grundproblem wären: wenn man wirklich die Familien und die Familienarbeit honorieren will, dann wäre es am einfachsten und am konsequentesten, den Pauschalabzug für Kinder zu erhöhen! Dann wären alle gleich behandelt, den ein Kind in der einen Familie kostet nicht weniger als in der anderen Familie! Und zudem würde nicht die Logik der Steuergesetzgebung wissentlich und fahrlässig ausgehebelt!

Freitag, 22. Februar 2013

Staatskinder? Was soll der Schwachsinn!


Der aktuelle Abstimmungskampf über den Familienartikel zeigt leider wieder mal deutlich, wie schwer es vielen Politikern fällt, in grösseren Zusammenhängen zu denken und nicht bloss an Einzelthemen. Denn die Rechnung ist recht einfach: in der Schweiz gibt es überproportional viele Arbeitsstellen. Und wir können jetzt wählen, ob wir lieber unsere Frauen beschäftigen oder – ausländische Zuwanderer. Aber irgendjemand muss die Arbeit erledigen. Es ist nun aber genau diejenige Partei, die Herr und Frau Schweizer mit ihren Bildern von weinenden Kindern hinter Gittern ein schlechtes Gewissen einjagen will, die mit noch mehr Vehemenz gegen Zuwanderung antritt. Meine Damen und Herren von der SVP (und FDP): so geht’s nicht: entweder erhöhen wir die Beschäftigungsquote der Frauen oder wir holen Ausländer – die übrigens ja nicht alleine kommen, sondern mit Familie, d.h. eine ausländische Arbeitskraft bewirkt 2 und mehr neue Einwohner. Was ist ihnen weniger unangenehm? Aber dann müsste man ja eine stringente Politik betreiben.

Das oft gehörte Argument mit den Kosten hält einer genaueren Betrachtung auch nicht Stand: selbstverständlich kann die Umsetzung des Familienartikels Kosten verursachen, wird sie wohl sogar. Aber diese Kosten sind nichts im Vergleich zu den gesamtgesellschaftlichen Kosten, die die aktuelle Politik generiert. Zu nennen wären da eine überlastete Infrastruktur (Züge, Strassen), die mit viel Geld ausgebaut werden müssen, steigende Immobilienpreise in den Wirtschaftsregionen etc. Und es kann ja wirklich nicht im Sinne einer Gesellschaft sein, dass sie (Staat und Firmen) enorme Summen in die Ausbildung von 50% der Bevölkerung steckt, um diese Ausbildung dann brach liegen zu lassen. Wurden diese Kosten schon mal bedacht?

Selbstverständlich ist die Förderung von Betreuungsplätzen nicht die (alleinige) Lösung. Wichter wäre eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier ist die Wirtschaft gefordert. Aber wehe, die Politik würde es wagen, den Firmen hier Vorgaben zu machen: die gleichen Kreise würden erneut lauf aufheulen. Also: was wollen sie lieber: Betreuungsplätze subventionieren oder Vorgaben für Privatfirmen? Von einem Zwang zur Fremdbetreuung, wie es das unsägliche Gefängnis-Plakat suggeriert, steht übrigens im Artikel überhaupt nichts. Und ein solcher Zwang wird sich in der Schweiz auch nie durchsetzen lassen – er ist auch nicht sinnvoll. Was soll also der Unfug mit „Staatskindern“?

Als teilzeitarbeitender Vater einer kleinen Tochter und Ehemann einer teilzeitarbeitenden Frau, die auch schon auf Wartelisteplatz 45 einer Kinderkrippe standen, wehre ich mich dagegen, in die Ecke der Rabeneltern gestellt zu werden. Und eigentlich will ich auch keine Unterstützung vom Staat. Aber wenn es derselbe Staat schafft, uns als Mittelstandsfamilie durch die Steuerprogression, die Heiratsstrafe, Progression bei Krippenbeiträgen, höheren bzw. nicht subventionierten Krankenkassenprämien zu benachteiligen, dann soll er wenigstens hier etwas tun. 

Samstag, 14. Januar 2012

Es war einmal...

Es war einmal ein Rechtsstaat.
Trotz seines hohen Alters von über 150 Jahren war er noch rüstig unterwegs und bei guter Verfassung. Auf ihn war verlass, man wusste, was man an ihm hatte. Doch
dann wurde er von zwei hartnäckigen Krankheiten befallen, die er einfach nicht mehr los wurde. Der „Populismusitis“ und dem „Alle Medien schreiben v.a. einander ab“-Fieber. Und plötzlich war alles anders. Früher, als der Rechtsstaat
noch fit war, galt zum Beispiel der Grundsatz der Unschuldsvermutung. Erst, wenn jemand einer Tat offiziell überführt wurde, wurde auch über ihn Gericht
gehalten. Auch der Anspruch „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) wurde hochgehalten. Das heisst, einem Beschuldigten musste ein Vergehen
bewiesen werden. Doch heute ist es scheinbar so, dass Angeschuldigte vor allem mal ihre Unschuld beweisen müssen. Und auch eine dritte Regel galt: „nulla poena sine lege.“ Keine Strafe ohne entsprechendes Gesetz. Wer also gegen kein Gesetz verstösst, kann auch nicht bestraft werden. Es ist ja schliesslich nicht sein Fehler, wenn es dieses Gesetz nicht gibt.

Doch wozu braucht es auch überhaupt so altbewähre Rechtsgrundsätze? Schliesslich ist der Rechtsstaat ja krank. Als Ersatz taucht eine neue Ordnung auf: die Moral. Überall wird nach
ihr gerufen. Sie wird auf Händen getragen und scheint den Platz des alternden Rechtsstaats
bald einzunehmen. Neu ist ja bekanntlich sexy.
Doch mit der Moral ist es so eine Sache, zumal sie von ihren Vertretern von Fall zu Fall mal so, mal anders definiert wird. So versuchten – man erinnere sich - diejenigen, die in unseren
Tagen am bedrohlichsten und wirksamsten mit der Moralkeule fuchteln, vor wenigen Wochen im vollen Bewusstsein der Tatsachen den Bewohnen der kränkelnden Rechtsstaates einen mutmasslichen Erbschaftsveruntreuer – also einen mutmasslichen Charakterlumpen - als Regierungsmitglied unterzujubeln. Moral ist also scheinbar das, was einem gerade in den Kram passt. Etwa so variabel wie die Tageskarte eines Speiserestaurants.
Lieber Rechtsstaat, ich wünsche Dir gute Besserung und hoffe, dass Du Deine leidigen Krankheiten los wirst. Denn ansonsten wird es bald heissen: er Ruhe in Frieden!

Freitag, 14. Oktober 2011

Wird die Uni zum Gymnasium und umgekehrt?

Zu Beginn der 90er Jahre setzte im Schweizer Bildungssystem - gerade auch auf der Sekundarstufe II (Gymnasium) - eine Reformwelle ein, die bis heute nicht abgeebt ist und bisweilen wichtige Fundamente des Systems weg zu errodieren scheint.
Reformen sind gut und immer mal wieder nötig, doch bekommt man im Bildungssektor den Eindruck, dass primär mal reformiert wird des Reformierens willen. Schliesslich brauchen ja die Bildungsexperten - damit sind nicht die Lehrer gemeint, denn die werden ja selten gefragt - auch Arbeit für den Broterwerb.

Der neuste Schrei auf Stufe Gymnasium heisst "SOL". Hinter diesem Kürzel steckt das Prinzip des "Selbstorganisierten Lernens." Die Idee dahinter ist, dass die Lernenden auf selbständiger Basis über längere Zeit sich selber einen Stoff aneignen sollen, um so ihr eigenes Lernverhalten steuern zu lernen. Sie sollen so auf das lebenslange Lernen vorbereitet werden. Die Lehrer haben primär beratende Funktion.

Gegen diese Grundidee ist ja auch gar nichts einzuwenden. Doch jetzt geht man an vielen Gymnasien daran, mit grossem Tamtam und Brimborium eigentliche "SOL-Konzepte" umzusetzen, SOL wird zum Pflichtteil und geradezu zum neuen heiligen Gral der Pädagogik. Im Kanton Zürich ist man dazu übergegangen, ganze Semester mit SOL zu gestalten. Die offizielle Begründung: die Maturanden auf die Uni vorzubereiten, die inoffizielle: Sparen!
Und vielleicht sollte man sich auch mal zwei, drei kritische Fragen stellen:
  1. Viele Lehrpersonen praktizieren SOL schon heute im Unterricht. So sind ja auch Einzelvorträge, Hausarbeiten oder die Maturaarbeit nichts anderes als SOL. Ist es also zwingend notwendig, jetzt noch viel Ressourcen, Zeit und Energie in etwas zu stecken, das schon lange den Einzug in die Klassenzimmer gehalten, wenn auch nicht als grossspuriges Projekt?
  2. Steht wirklich die Förderung der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt oder sind es Sparinteressen? Erfahrungen zeigen nämlich folgendes Bild: die guten Lernenden sind auch bei SOL-Projekten gut und die schwächeren Lernenden sind noch schlechter. Wem soll also geholfen werden?
  3. Dient der riesige SOL-Aufwand, der jetzt betrieben werden soll, wirklich der Studierfähigkeit an der Uni? Das mag stark bezweifelt werden, wenn man sich die Entwicklung an den Unis mal anschaut. Dort geht der Trend seit der Einführung von "Bologna" klar in eine andere Richtung: es besteht Anwesenheitspflicht, für jeden Mückenschiss muss man einen "Leistungsnachweis" erbringen und am Ende des Tages noch zu jedem noch so belangelosen Teilfach ein semesterlanges Tutorat besuchen, natürlich auch wieder mit Anwesenheitspflicht. Wo bitte schön ist da denn die Selbständigkeit geblieben? Während die Gymnasien nun versuchen, ihre Absolventen auf Selbständigkeit zu trimmen, wird denselbigen ein Jahr später das von den Unis wieder abtrainiert. Was die Unis heute verlangen ist nicht "Selbstorganisiertes Lernen" sondern nur noch "Lernen". Dass dieses Lernen immer noch selber gesteuert und organisiert werden muss, versteht sich von selbst, denn sonst geht lernen schlicht und einfach nicht. Man kann es nicht auslagern an jemand anderes. Doch das war früher so, das ist heute am Gymnasium so, das ist an der Berufsschule etc so, das ist einfach so.

Kurz: es ist nicht ganz einsichichtig, wieso heute so viel Energie und Zeit auf etwas verschwendet werden soll, dass erstens schon lange existiert und zweitens in dieser Form - und das ist am meisten zu bedeuern - von der abnehmenden Institution - der Uni - nicht mehr wirklich verlangt wird.

Die Verschaukelung des Mittelstandes

Die meisten Schweizer zählen sich zum Mittelstand, bildet diese Gesellschaftsschicht doch mit über 60% den weitaus grössten Anteil der Bevölkerung. Der Definitionen, wer denn nun genau zum Mittelstand gehört, sind einige, so z.B. zählt dazu, wer mindestens 2450, maximal 5250 Franken netto pro Kopf der Familie verdient. Eine dreiköpfige ­Familie mit einem sechsjährigen Kind bei einem Einkommen zwischen 5500 und 11'800 Franken gehört also dazu. (Quelle: beobachter.ch)

Und obwohl der Mittelstand die tragende Schicht der Schweiz und der Schweizer Gesellschaft ist, gibt wird sie doch hemmungslos von allen Seiten verschaukelt und für dumm verkauft, und dies gleich in mehreren Bereichen.

Zum einen gibt es eine Benachteiligung gegenüber unten. So können Mittelstandsfamilien weder mit Prämienverbilligungen für die Krankenkassen - obwohl diese immer stärker steigen - rechnen noch in den meisten Kantonen die Hoffnung hegen, je Stipendien für Ausbildung ihrer Kinder zu bekommen. Kinderkrippenplätze werden nicht nur nicht mit Zulagen bezuschusst, nein, aufgrund des höheren Einkommens und der in den meisten Kinderkrippen geltenden Progression der Beiträge muss man auch noch mehr bezahlen. Als ob ein Mittelstandskind mehr Aufwand bedeuten würde als ein Unterschichtenkind! Und eins oben drauf setzt noch ein Steuersystem, das es für viele Familien unattraktiv macht, beide Elternteile arbeiten zu lassen. Denn je nachdem fällt man durch das zusätzliche Einkommen in eine höherer Steuerklasse und muss so am Schluss mehr bezahlen als vorher. Miet- und sonstige Zuschüsse? (zu Recht) Fehlanzeige.

In diesem Punkt kommt die Benachteiligung nach oben ins Spiel: in den letzten 10 Jahren wurde häufig über die Plafonierung der Spitzensteuersätze gesprochen oder Steuersenkungen für Reiche. Das Ziel: reiche Steuerzahler anlocken. Interessanterweise war dies auch die Zeit der wachsenden Saläre in den Chefetagen. Als Verfechter des Leistungsprinzips - im Zusammenhang mit Banken wollen wir mal nicht davon sprechen - habe ich nichts gegen hohe Einkommen. Aber muss denn die gleiche Leistung gleich doppelt belohnt werden, mit hohem Einkommen und tieferen Steuern? Dass diese Politik - reiche Steuerzahler sollen Geld bringen - auch ein ziemlicher Schuss in den Ofen sein kann, zeigen z.B. die Gemeinden Wollerau und Feusisberg am Zürichseeufer. Dort haben die reichen Zuzüger als Folge steigender Mieten etc. mehr Steuersubstrat wegen wegziehender Mittelständler verdrängt als effektiv gebracht. Die Gemeinde steht also schlechter da. Und in Zug ist der Kanton gezwungen, in der Stadt Zug eigentiche Mittelstandsghettos einzurichten, damit sich Normalverdienenden das überhaupt noch leisten können. (zugegeben: diese profitieren auch von den tiefen Steuern ermöglicht durch die Unternehmen etc.)

Diese doppelte Benachteiligung nach oben und nach unten führt zu absurden, teilweise gar perversen Situationen. So lohnt es sich wie erwähnt für Paare, bei denen beide eine gute Ausbildung und ein entsprechendes Einkommen haben, aufgrund der zunehmenden Steuerbelastung und der steigenden Krippenkosten oftmals nicht, dass auch wirklich beide arbeiten gehen. Wir haben also ein System, das vorsätzlich gut qualifizierte Arbeitskräfte - häufig immer noch die Frau - an den heimischen Herd bindet und auf der anderen Seite dafür sorgt, dass jede Putzfrau - nichts gegen Putzfrauen, das ist keine Wertung! - häufig ohne echte Ausbildung arbeiten geht! Oder das System führt dazu, dass sich Mittelstandsfamilien ernsthaft überlegen, ob sie vielleicht noch ein zweites oder drittes Kind haben wollen, weil die finanziellen Ausgaben im vergleich zu den materiellen "Einnahmen" in Form von Kinderzulagen in keinem Verhältnis stehen. Auf der anderen Seite stellt sich diese Frage für die Unterschicht weniger, weil es ja Zuschüsse aller Art (Prämienverbilligung, Stipendien) gibt, und in der Oberschicht machen die Mehrkosten dann auch nicht mehr den grossen Budgetposten aus.

Dies sind nur einige Beispiele. Doch es wird rasch klar: die Mittelständler sind die grossen Deppen und "ewigen Verlierer" (NZZ) in diesem Land und merken es nicht einmal! Politische Diskussionen über mögliche Anpassungen dieses Systems werden aber auch immer mit schöner Regelmässigkeit von den politischen Polen her unterbunden. Von rechts kommt jeweils das Totschlagargument "Das kostet Arbeitsplätze!" Zudem huldigt man dort immer noch dem Glauben, dass tiefe Steuern für Reiche das Allheilmittel für Wirtschaftswachstum sind, während man von "Staatskindern" (das sind Kinder, die eine vom Staat geförderte Kinderkrippe besuchen) ein Übel per se sind. Und die Linken schwingen als argumentatorischer Totschläger jeweils die Moralkeule der sozialen Gerechtigkeit, dass man Solidarität üben müsse etc. Dass es volkswirtschaftlich wohl sinnvoller wäre, dass man die Putzfrau zu Hause Kinder hüten lassen und die Hochschulabsolventin dafür dank Krippenplätzen arbeiten lassen würde, darauf sind sie noch nicht gekommen.

Was wäre also zu tun? Es geht gar nicht darum, die Unterschicht bzw. Oberschicht bzw. den Mittelstand gegeneinander auszuspielen. Vielmehr sollten doch einfach gleichlange Spiesse für alle gelten und nicht der Mittelstand einen schönen Teil der Steuerlast tragen und dafür gleichzeitig mit höheren Abgaben geschröpft zu werden. Also:

  • Einheitlicher Steuer- und Abgabesatz für alle. Kein Progression, keine Degression, keine Plafonierung.
  • Erhöhung der Kinderabzüge bei der Steuererklärung, da Kinder "Ausgabenposten" Nr. 1 für den Mittelstand sind.
  • lineare Krippentarife und Förderung von Krippenplätzen durch grosszügigen Abzug von Betreuungskosten von den Steuern. (von mir aus soll der gleiche Abzug auf für Familien geltern, wo ein Elternteil fix zu Hause bleibt.)

Noch einige Fakten (Quelle: Beobachter.ch)

In den letzten 15 Jahren ist der mittlere Lohn um rund zwölf Prozent gestiegen, die Mieten aber um 16 Prozent – in den Städten deutlich stärker. Ebenfalls aus dem Ruder gelaufen sind die Gesundheitskosten. Familien, die keine Prämienverbilligung erhalten – im Kanton Zürich ist das ab rund 72'000 Franken Einkommen der Fall –, werden von den massiv gestiegenen Krankenkassenprämien voll getroffen. Der letzte Prämienanstieg bedeutet für eine vierköpfige Familie jährliche Mehrkosten von 1000 bis 1500 Franken.Auch in der Steuerpolitik hat der Mittelstand nur verloren. Von der Abschaffung der Erbschaftssteuer, den in vielen Kantonen halbierten Vermögenssteuern, der Senkung der Unternehmenssteuern und dem Trend hin zu immer mehr und immer höheren indirekten Abgaben profitierten in erster Linie die Reichen. Hinzu kommt die Verlagerung hin zu Gebühren, die Familien am härtesten trifft.

Mittwoch, 28. September 2011

Danke für die kleine Staatskunde

Wer im Moment durch die Schweiz fährt, sieht wohl vor lauter Wahlplakaten den Wald nicht mehr. Besonders zahlreich - da offensichtich alle Bauern ihre Land zur Verfügung stellen - sind die Plakate der SVP.
Manch einer, der nicht SVP wählen wird, muss sich die Frage stellen, ob er dann kein Schweizer, keine Schweizerin mehr ist, wenn er/sie eben nicht SVP wählt. Muss sich küntig die 70% Minderheit der 30% Mehrheit unterordnen und den Pass abgeben? Werden wir dann allenfalls als (kriminelle) Ausländer ausgewiesen?
All diejenigen, die solche Gedanken hegen, verstehen die Absicht der SVP aber völlig falsch. Denn eigentlich ist das auch gar kein Wahlplakat, sondern eine gratis Staatskundeeinheit für alle Bewohner dieses Landes. Dies ist auch nur folgerichtig, bemängelt die SVP doch häufig fehlende staatspolitische Kenntnisse v.a. der Jugend.
Denn wenn man sich den Satz "Schweizer wählen SVP" logisch überlegt, dann kommt man unweigerlich zum Schluss: wer denn sonst? Ausländer werden's ja wohl nicht sein, die haben kein Stimmrecht. Da bleiben, wenn man diese von der Masse der Wohnbevölkerung nach Adam Riese abzählt nur noch die Schweizer und Schweizerinnen übrig. Die SVP macht uns also nur darauf aufmerksam, dass Ausländer und Ausländerinnen in der Schweiz kein Stimmrecht haben. Sie wollen gar nicht die Nicht-SVP-Wähler als unschweizerisch stigmatisieren.
Aber überhaupt scheinen sich alle grossen Parteien in diesem Wahlkampf entweder vom gleichen Werbebüro beraten zu lassen oder sie haben sich bei den traditionellen Von-Wattenwyl-Gesprächen auf einen einheitlichen Auftritt geeinigt, um die Stimmbürger nicht unnötig zu verwirren, damit er sich nicht mit zu vielen unterschiedlichen Profilen herumschlagen muss.
  • Die SVP wirbt mit "Schweizer wählen SVP"
  • Die FDP verkündet "Aus liebe zur Schweiz"
  • und die CVP meint "Keine Schweiz ohne uns"

Ob all dieser Swissness wollten dann die Schweizer Demokraten doch keinen eigenen Slogan kreieren.

A propos Demokratie, SVP und so. Es war doch diese Woche wieder sehr interessant im Bundeshaus. Genau diejenigen Parteien, die sonst das letzte Wort so gerne dem Volk geben und für jeden Quatsch eine Initiative lancieren, genau diese Parteien halten es offensichtilch nicht für nötig, die Frage, ob man mal schnell 5 Mia. für neue Kampfjets ausgeben will, dem Volk vorzulegen. Aber Demokratie ist halt eben v.a. dann gäbig, wenn man vom "Volk" zu profitieren scheint. Oder vielleicht ist das auch nur eine Sparmassnahme: man will sich die teure Volksabstimmung schenken, da man ja schliesslich den Willen des Volkes kennt. Wieso sollte man es noch fragen wollen/müssen?

Montag, 23. Mai 2011

1989 – Die andere Wende: Wie Khomeinis Fatwa den Westen veränderte - Teil 3

Im Januar 1989, rund zehn Monate vor dem Fall der Berliner Mauer, demonstrierten im nordenglischen Bradford rund 1000 Muslime gegen Salman Rushdies Buch „Die Satanischen Verse“ und verbrannten es. Der an sich unbedeutende Anlass war ein Vorbote für die künftigen spannungsreichen Beziehungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Der britische Autor Kenan Malik geht in seinem neusten Werk „From Fatwa to Jihad“ der Frage nach, wie es dazu kommen konnte, dass in Grossbritannien aufgewachsene Muslime zuerst Bücher verbrannten und schliesslich (2005) Bomben in der Londoner U-Bahn zündeten.

Für Kenan Malik ist das Erstarken des islamischen Fundamentalismus in Europa und speziell in Grossbritannien die direkte Folge einer völlig verfehlten und blinden Politik im Inneren wie im Äusseren. Besonders erhellend sind hierbei die Entwicklungen, die der Autor für die (britische) Innenpolitik aufzeigt.
Sein Ansatz liegt in den Rassenunruhen der 70er und 80er Jahre in England. Ein England, das aufgrund seines kolonialen Erbes und der schweren Wirtschaftskrise von tiefreichendem Rassismus gekennzeichnet ist. Der Autor selber erfuhr dies am eigenen Leibe. Während die erste Einwanderergeneration dies hinnahm, weil sie beschäftigt war, eine Existenz aufzubauen, kämpfte die junge, in England geborene und oft links stehende Altersgruppe gegen diese Benachteiligung an, politisch und in Strassenkämpfen. Das Ziel dieses Kampfes waren gleiche Rechte, gleicher Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, alles Ziele also, die man eigentlich schon aus den Klassenkämpfen der vorigen Jahrzehnte kannte. Doch die jungen Aktivisten hatten noch eine zweite Front, an der sie kämpften: sie hinterfragten den Konservativismus ihrer Eltern, waren gegen arrangierte Ehen und für eine stärkere Stellung der Frauen. Es war also kein Rassenkampf, sondern ein Kampf der jungen Generation, endlich gleichberechtigt in einem modernen England anzukommen. Doch genau als Rassenkampf wurden die Ausschreitungen von den Labour-geprägten Kommunalbehörden und der Thatcher-Regierung aufgefasst. In ihrem Bestreben, die Strassen zu beruhigen, etablierte sie eine völlig neue, völlig verfehlte Politik, die gravierende Folgen haben sollte.
Sie entschied sich, auf die „vernünftigen“ Ausländer zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die ausländischen Gemeinschaften sollten Geld erhalten, wenn sie sich wohlgefällig verhielten. In der Folge wurden riesige Geldmittel (alleine 1983/84 77 Mio. Pfund) eingesetzt und überall im Land „Gesprächsrunden“ eingesetzt. An diesen Gesprächsrunden nahmen ganze 40 (!) Personen teil, die von der Regierung künftig als die Repräsentanten der muslimischen Gemeinschaft gesehen wurden. In ihrer verzweifelten Suche nach Ansprechpartnern machte die Regierung zwei Fehler: zum einen erlag sie dem Irrglauben, dass es so etwas wie eine Einheit unter den Muslimen gebe. Einerseits realisierte sie nicht, dass ihre Gesprächspartner alle aus dem konservativen Lager stammten. Die Folgen dieser Politik waren unheilvoll. Andererseits machte sie die konservativen Kräfte innerhalb der Muslime zu Vertretern aller Muslime. Dies ist in etwa so sinnvoll, wie wenn der Pfarrer in der Schweiz die ganze Gemeine vertreten wollte. Diese Politik öffnete den Islamisten damit Tür und Tor und frustriert zugleich zahlreiche der säkular eingestellten jungen Muslimen aufs heftigste. Zum anderen leitete sie eine Abkehr vom festen Glauben an die allgemeine und universelle Gültigkeit der Werte der Aufklärung ein und ersetzte diese durch eine neue Form von Multi-Kulturalismus bzw. Anti-Rassismus. „Rassismus bedeutete jetzt nicht mehr die Bestreitung gleicher Rechte für alle, sondern die Bestreitung des Rechtes anders zu sein.“ (Malik, S. 59) Praktisch unterstützt wurde dies mit Subventionen für allerlei innerethnische Aktivitäten wie Gemeindezentren etc. Ausländern wurde damit quasi die Fähigkeit abgesprochen, sich zu integrieren. Vielmehr erhielten nur diejenigen Geld, die sich so verhielten, wie man es von „richtigen“ Ausländern erwartet, nämlich ihren Traditionen folgend. Der Staat sah seine Bewohner also nicht als Bürger, die man gleich behandeln musste, sondern als Ethnien, die man alle verschieden behandeln muss. Diese vermeintliche Toleranz-Politik führte aber nicht wie erhofft zu einem bessern Zusammenleben, im Gegenteil. Sie war dafür verantwortlich, dass die Gesellschaft zunehmend in einzelne ethnische Gruppen zerfiel, die immer weniger miteinander zu tun hatten. Sie förderte schliesslich den Aufbau von Sondergesellschaften, die in ihrer eigenen Welt lebten, und schwächte die Anhänger einer säkularen Lebensweise, indem sie die Konservativen zu den Sprechern der Gemeinschaft machte. Langfristig bewirkte sie eine konservative Wende in der muslimischen Gemeinschaft. Die Rushdie-Affäre ist für Malik in dieser Entwicklung ein vorläufiger Höhepunkt.

Wandel der Mentalität
Am meisten stösst sich der überzeugte Liberale Malik aber an der Reaktion der westlichen Politiker auf die Fatwa Khomeinis. Er wirft diesen ein Pseudo-Mitgefühl vor. Denn diejenigen, die –auch bei anderen Gelegenheiten - protestierten und sich verletzt gäben, stellten immer eine kleine Minderheit innerhalb der Muslime dar, während sich die grosse Mehrheit gar nicht angegriffen fühle. Die europäischen Meinungsmacher hielten die lautesten Stimmen aber immer für die massgebenden.
In zunehmendem Masse führe dieses übertriebene Mitgefühl zu einer Selbstzensur aus kleinsten Gründen. Malik beschuldigt den Westen, dass er die Fatwa Khomeinis schon so verinnerlicht habe, dass er gar nicht mehr ernsthaft versuche, das Recht auf freie Meinung zu verteidigen. Als Beispiel führt der den Streit um die Mohammed-Karrikaturen von 2005 an. Damit werde ein Klima geschaffen, in der jede Gruppe, die sich irgendwie angegriffen fühle, gleich nach einem Verbot schreie. Damit gehe die wichtigste Errungenschaft der Aufklärung verloren, die Kritik an Machtstrukturen durch die freie Rede, und werde ersetzt durch einen „Marktplatz der Entrüstung“, auf dem es darauf ankomme, möglichst laut zu schreien, „meine Gefühle sind mehr verletzt als Deine!“ Für Malik sind aber gerade in einer pluralen Welt Konflikte unvermeidbar, da eben die Welt nicht einheitlich ist. Weil aber diese offene Auseinandersetzung nicht mehr gewährleistet sei, entsteht für den Briten eine unheilige Allianz zwischen dem Westen und den Islamisten: indem der Westen die Einrichtung von Tabubereichen innerhalb seiner Gesellschaft erlaube, stärke er diejenigen, die an alten Strukturen festhalten wollten, die Konservativen; genau so, wie er es mit seiner Kulturpolitik getan habe. Der Westen sei deshalb mitschuldig, dass sich die ausländischen Gemeinschaften innerhalb der eigenen Gesellschaft immer konservativer aufführten, da er selber zur Unterdrückung der liberalen Strömungen beitrage.
Die westliche Verbots- und Kusch-Kultur zeigt für Malik einen Mangel an Vertrauen in die eigenen liberalen Werte und eine irrationale Furcht vor islamischen Terroristen. Denn Terror sei noch nie ein Zeichen von Stärke gewesen, sondern von Schwäche. Es zeige, dass die Terroristen die Menschen nicht mit ihren Argumenten überzeugen und auf ihre Seite bringen könnten, deshalb müssten sie auf Gewalt setzen. Der einzige, der in diesem Umfeld von Angst und Paranoia profitiere, sei der Staat, der immer mehr die Kontrolle übernehme. Zum einen mit der Überwachung des Lebens der Bürger, zum anderen bestimme er auch zunehmend über das Denken der Menschen. Denn in einer Gesellschaft, in der die freie Rede durch (Anti-Rassismus-)Gesetze gelenkt werde, entscheide am Schluss der Staat, was erlaub sei und was nicht. Er enthebe damit seine Bürger von der Verantwortung, selber entscheiden zu müssen, was Recht und was Unrecht sei.

Und die Lehren?
Auch wenn der Autor keine ausdrücklichen Belehrungen verteilt, wird die Stossrichtung beim Lesen dennoch klar. Für den eingefleischten Liberalen Malik muss das Recht auf freie Meinungsäusserung ohne Einschränkung gewährt sein. Extreme Ideen, ob sie nun von Rassisten oder Islamisten kommen, müssen mit Argumenten, nicht mit Verboten bekämpft werden. Die Basis dafür ist ein strikt säkularer Staat, der seine Bewohner als Bürger, nicht als Schablonen einer Ethnie behandelt. Zudem muss sich der Staat genau überlegen, mit wem er spricht. Es ist naiv zu glauben, dass einige ausgesuchte religiöse oder weltliche Führer eine ganze Gemeinschaft vertreten können, denn dafür ist diese zu verschieden. Ein pakistanischer Arzt z.B. hat wohl mehr mit einem britischen Arzt gemeinsam als mit einem indischen Schichtarbeiter, ob sie beide nun Muslime sind oder nicht.
Bezogen auf die Schweiz würde dies bedeuten, dass alle die Gesprächsrunden mit Vertretern ausländischer Gruppen wenn nicht abgeschafft, dann sicher auf ihre Zusammensetzung überprüft werden sollten. Und ein säkularer Staat darf es beispielsweise auch nicht hinnehmen, dass einzelne Eltern ihre Kinder vom Schwimmunterricht, Klassenlagern oder anderen zur Ausbildung gehörenden Bereichen der Schule freistellen lassen. Auf der anderen Seite muss dieser Staat aber auch allen seinen Bürgern die gleichen Rechte gewähren. Und in der Schweiz besteht das Recht auf freie Religionsausübung. Was wiederum bedeutet, dass eine Minarett-Initiative abzulehnen ist, da sie die Rechte einzelner Bürger einseitig einschränkt und genau wieder zur Bildung von Einzelgesellschaften wie in England beiträgt.

Kenan Malik (*1960) arbeitet als Journalist, Publizist und Universitätsprofessor in England. Wie Salman Rushdie ist er indischstämmiger, muslimischer Herkunft, aber in Grossbritannien aufgewachsen (www.kenanmalik.com) Sein neustes Buch „From Fatwa to Jihad“ ist bei Atlantic-Books erschienen (ISBN 1-84354-823-2)