Freitag, 14. Oktober 2011

Wird die Uni zum Gymnasium und umgekehrt?

Zu Beginn der 90er Jahre setzte im Schweizer Bildungssystem - gerade auch auf der Sekundarstufe II (Gymnasium) - eine Reformwelle ein, die bis heute nicht abgeebt ist und bisweilen wichtige Fundamente des Systems weg zu errodieren scheint.
Reformen sind gut und immer mal wieder nötig, doch bekommt man im Bildungssektor den Eindruck, dass primär mal reformiert wird des Reformierens willen. Schliesslich brauchen ja die Bildungsexperten - damit sind nicht die Lehrer gemeint, denn die werden ja selten gefragt - auch Arbeit für den Broterwerb.

Der neuste Schrei auf Stufe Gymnasium heisst "SOL". Hinter diesem Kürzel steckt das Prinzip des "Selbstorganisierten Lernens." Die Idee dahinter ist, dass die Lernenden auf selbständiger Basis über längere Zeit sich selber einen Stoff aneignen sollen, um so ihr eigenes Lernverhalten steuern zu lernen. Sie sollen so auf das lebenslange Lernen vorbereitet werden. Die Lehrer haben primär beratende Funktion.

Gegen diese Grundidee ist ja auch gar nichts einzuwenden. Doch jetzt geht man an vielen Gymnasien daran, mit grossem Tamtam und Brimborium eigentliche "SOL-Konzepte" umzusetzen, SOL wird zum Pflichtteil und geradezu zum neuen heiligen Gral der Pädagogik. Im Kanton Zürich ist man dazu übergegangen, ganze Semester mit SOL zu gestalten. Die offizielle Begründung: die Maturanden auf die Uni vorzubereiten, die inoffizielle: Sparen!
Und vielleicht sollte man sich auch mal zwei, drei kritische Fragen stellen:
  1. Viele Lehrpersonen praktizieren SOL schon heute im Unterricht. So sind ja auch Einzelvorträge, Hausarbeiten oder die Maturaarbeit nichts anderes als SOL. Ist es also zwingend notwendig, jetzt noch viel Ressourcen, Zeit und Energie in etwas zu stecken, das schon lange den Einzug in die Klassenzimmer gehalten, wenn auch nicht als grossspuriges Projekt?
  2. Steht wirklich die Förderung der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt oder sind es Sparinteressen? Erfahrungen zeigen nämlich folgendes Bild: die guten Lernenden sind auch bei SOL-Projekten gut und die schwächeren Lernenden sind noch schlechter. Wem soll also geholfen werden?
  3. Dient der riesige SOL-Aufwand, der jetzt betrieben werden soll, wirklich der Studierfähigkeit an der Uni? Das mag stark bezweifelt werden, wenn man sich die Entwicklung an den Unis mal anschaut. Dort geht der Trend seit der Einführung von "Bologna" klar in eine andere Richtung: es besteht Anwesenheitspflicht, für jeden Mückenschiss muss man einen "Leistungsnachweis" erbringen und am Ende des Tages noch zu jedem noch so belangelosen Teilfach ein semesterlanges Tutorat besuchen, natürlich auch wieder mit Anwesenheitspflicht. Wo bitte schön ist da denn die Selbständigkeit geblieben? Während die Gymnasien nun versuchen, ihre Absolventen auf Selbständigkeit zu trimmen, wird denselbigen ein Jahr später das von den Unis wieder abtrainiert. Was die Unis heute verlangen ist nicht "Selbstorganisiertes Lernen" sondern nur noch "Lernen". Dass dieses Lernen immer noch selber gesteuert und organisiert werden muss, versteht sich von selbst, denn sonst geht lernen schlicht und einfach nicht. Man kann es nicht auslagern an jemand anderes. Doch das war früher so, das ist heute am Gymnasium so, das ist an der Berufsschule etc so, das ist einfach so.

Kurz: es ist nicht ganz einsichichtig, wieso heute so viel Energie und Zeit auf etwas verschwendet werden soll, dass erstens schon lange existiert und zweitens in dieser Form - und das ist am meisten zu bedeuern - von der abnehmenden Institution - der Uni - nicht mehr wirklich verlangt wird.

Die Verschaukelung des Mittelstandes

Die meisten Schweizer zählen sich zum Mittelstand, bildet diese Gesellschaftsschicht doch mit über 60% den weitaus grössten Anteil der Bevölkerung. Der Definitionen, wer denn nun genau zum Mittelstand gehört, sind einige, so z.B. zählt dazu, wer mindestens 2450, maximal 5250 Franken netto pro Kopf der Familie verdient. Eine dreiköpfige ­Familie mit einem sechsjährigen Kind bei einem Einkommen zwischen 5500 und 11'800 Franken gehört also dazu. (Quelle: beobachter.ch)

Und obwohl der Mittelstand die tragende Schicht der Schweiz und der Schweizer Gesellschaft ist, gibt wird sie doch hemmungslos von allen Seiten verschaukelt und für dumm verkauft, und dies gleich in mehreren Bereichen.

Zum einen gibt es eine Benachteiligung gegenüber unten. So können Mittelstandsfamilien weder mit Prämienverbilligungen für die Krankenkassen - obwohl diese immer stärker steigen - rechnen noch in den meisten Kantonen die Hoffnung hegen, je Stipendien für Ausbildung ihrer Kinder zu bekommen. Kinderkrippenplätze werden nicht nur nicht mit Zulagen bezuschusst, nein, aufgrund des höheren Einkommens und der in den meisten Kinderkrippen geltenden Progression der Beiträge muss man auch noch mehr bezahlen. Als ob ein Mittelstandskind mehr Aufwand bedeuten würde als ein Unterschichtenkind! Und eins oben drauf setzt noch ein Steuersystem, das es für viele Familien unattraktiv macht, beide Elternteile arbeiten zu lassen. Denn je nachdem fällt man durch das zusätzliche Einkommen in eine höherer Steuerklasse und muss so am Schluss mehr bezahlen als vorher. Miet- und sonstige Zuschüsse? (zu Recht) Fehlanzeige.

In diesem Punkt kommt die Benachteiligung nach oben ins Spiel: in den letzten 10 Jahren wurde häufig über die Plafonierung der Spitzensteuersätze gesprochen oder Steuersenkungen für Reiche. Das Ziel: reiche Steuerzahler anlocken. Interessanterweise war dies auch die Zeit der wachsenden Saläre in den Chefetagen. Als Verfechter des Leistungsprinzips - im Zusammenhang mit Banken wollen wir mal nicht davon sprechen - habe ich nichts gegen hohe Einkommen. Aber muss denn die gleiche Leistung gleich doppelt belohnt werden, mit hohem Einkommen und tieferen Steuern? Dass diese Politik - reiche Steuerzahler sollen Geld bringen - auch ein ziemlicher Schuss in den Ofen sein kann, zeigen z.B. die Gemeinden Wollerau und Feusisberg am Zürichseeufer. Dort haben die reichen Zuzüger als Folge steigender Mieten etc. mehr Steuersubstrat wegen wegziehender Mittelständler verdrängt als effektiv gebracht. Die Gemeinde steht also schlechter da. Und in Zug ist der Kanton gezwungen, in der Stadt Zug eigentiche Mittelstandsghettos einzurichten, damit sich Normalverdienenden das überhaupt noch leisten können. (zugegeben: diese profitieren auch von den tiefen Steuern ermöglicht durch die Unternehmen etc.)

Diese doppelte Benachteiligung nach oben und nach unten führt zu absurden, teilweise gar perversen Situationen. So lohnt es sich wie erwähnt für Paare, bei denen beide eine gute Ausbildung und ein entsprechendes Einkommen haben, aufgrund der zunehmenden Steuerbelastung und der steigenden Krippenkosten oftmals nicht, dass auch wirklich beide arbeiten gehen. Wir haben also ein System, das vorsätzlich gut qualifizierte Arbeitskräfte - häufig immer noch die Frau - an den heimischen Herd bindet und auf der anderen Seite dafür sorgt, dass jede Putzfrau - nichts gegen Putzfrauen, das ist keine Wertung! - häufig ohne echte Ausbildung arbeiten geht! Oder das System führt dazu, dass sich Mittelstandsfamilien ernsthaft überlegen, ob sie vielleicht noch ein zweites oder drittes Kind haben wollen, weil die finanziellen Ausgaben im vergleich zu den materiellen "Einnahmen" in Form von Kinderzulagen in keinem Verhältnis stehen. Auf der anderen Seite stellt sich diese Frage für die Unterschicht weniger, weil es ja Zuschüsse aller Art (Prämienverbilligung, Stipendien) gibt, und in der Oberschicht machen die Mehrkosten dann auch nicht mehr den grossen Budgetposten aus.

Dies sind nur einige Beispiele. Doch es wird rasch klar: die Mittelständler sind die grossen Deppen und "ewigen Verlierer" (NZZ) in diesem Land und merken es nicht einmal! Politische Diskussionen über mögliche Anpassungen dieses Systems werden aber auch immer mit schöner Regelmässigkeit von den politischen Polen her unterbunden. Von rechts kommt jeweils das Totschlagargument "Das kostet Arbeitsplätze!" Zudem huldigt man dort immer noch dem Glauben, dass tiefe Steuern für Reiche das Allheilmittel für Wirtschaftswachstum sind, während man von "Staatskindern" (das sind Kinder, die eine vom Staat geförderte Kinderkrippe besuchen) ein Übel per se sind. Und die Linken schwingen als argumentatorischer Totschläger jeweils die Moralkeule der sozialen Gerechtigkeit, dass man Solidarität üben müsse etc. Dass es volkswirtschaftlich wohl sinnvoller wäre, dass man die Putzfrau zu Hause Kinder hüten lassen und die Hochschulabsolventin dafür dank Krippenplätzen arbeiten lassen würde, darauf sind sie noch nicht gekommen.

Was wäre also zu tun? Es geht gar nicht darum, die Unterschicht bzw. Oberschicht bzw. den Mittelstand gegeneinander auszuspielen. Vielmehr sollten doch einfach gleichlange Spiesse für alle gelten und nicht der Mittelstand einen schönen Teil der Steuerlast tragen und dafür gleichzeitig mit höheren Abgaben geschröpft zu werden. Also:

  • Einheitlicher Steuer- und Abgabesatz für alle. Kein Progression, keine Degression, keine Plafonierung.
  • Erhöhung der Kinderabzüge bei der Steuererklärung, da Kinder "Ausgabenposten" Nr. 1 für den Mittelstand sind.
  • lineare Krippentarife und Förderung von Krippenplätzen durch grosszügigen Abzug von Betreuungskosten von den Steuern. (von mir aus soll der gleiche Abzug auf für Familien geltern, wo ein Elternteil fix zu Hause bleibt.)

Noch einige Fakten (Quelle: Beobachter.ch)

In den letzten 15 Jahren ist der mittlere Lohn um rund zwölf Prozent gestiegen, die Mieten aber um 16 Prozent – in den Städten deutlich stärker. Ebenfalls aus dem Ruder gelaufen sind die Gesundheitskosten. Familien, die keine Prämienverbilligung erhalten – im Kanton Zürich ist das ab rund 72'000 Franken Einkommen der Fall –, werden von den massiv gestiegenen Krankenkassenprämien voll getroffen. Der letzte Prämienanstieg bedeutet für eine vierköpfige Familie jährliche Mehrkosten von 1000 bis 1500 Franken.Auch in der Steuerpolitik hat der Mittelstand nur verloren. Von der Abschaffung der Erbschaftssteuer, den in vielen Kantonen halbierten Vermögenssteuern, der Senkung der Unternehmenssteuern und dem Trend hin zu immer mehr und immer höheren indirekten Abgaben profitierten in erster Linie die Reichen. Hinzu kommt die Verlagerung hin zu Gebühren, die Familien am härtesten trifft.

Mittwoch, 28. September 2011

Danke für die kleine Staatskunde

Wer im Moment durch die Schweiz fährt, sieht wohl vor lauter Wahlplakaten den Wald nicht mehr. Besonders zahlreich - da offensichtich alle Bauern ihre Land zur Verfügung stellen - sind die Plakate der SVP.
Manch einer, der nicht SVP wählen wird, muss sich die Frage stellen, ob er dann kein Schweizer, keine Schweizerin mehr ist, wenn er/sie eben nicht SVP wählt. Muss sich küntig die 70% Minderheit der 30% Mehrheit unterordnen und den Pass abgeben? Werden wir dann allenfalls als (kriminelle) Ausländer ausgewiesen?
All diejenigen, die solche Gedanken hegen, verstehen die Absicht der SVP aber völlig falsch. Denn eigentlich ist das auch gar kein Wahlplakat, sondern eine gratis Staatskundeeinheit für alle Bewohner dieses Landes. Dies ist auch nur folgerichtig, bemängelt die SVP doch häufig fehlende staatspolitische Kenntnisse v.a. der Jugend.
Denn wenn man sich den Satz "Schweizer wählen SVP" logisch überlegt, dann kommt man unweigerlich zum Schluss: wer denn sonst? Ausländer werden's ja wohl nicht sein, die haben kein Stimmrecht. Da bleiben, wenn man diese von der Masse der Wohnbevölkerung nach Adam Riese abzählt nur noch die Schweizer und Schweizerinnen übrig. Die SVP macht uns also nur darauf aufmerksam, dass Ausländer und Ausländerinnen in der Schweiz kein Stimmrecht haben. Sie wollen gar nicht die Nicht-SVP-Wähler als unschweizerisch stigmatisieren.
Aber überhaupt scheinen sich alle grossen Parteien in diesem Wahlkampf entweder vom gleichen Werbebüro beraten zu lassen oder sie haben sich bei den traditionellen Von-Wattenwyl-Gesprächen auf einen einheitlichen Auftritt geeinigt, um die Stimmbürger nicht unnötig zu verwirren, damit er sich nicht mit zu vielen unterschiedlichen Profilen herumschlagen muss.
  • Die SVP wirbt mit "Schweizer wählen SVP"
  • Die FDP verkündet "Aus liebe zur Schweiz"
  • und die CVP meint "Keine Schweiz ohne uns"

Ob all dieser Swissness wollten dann die Schweizer Demokraten doch keinen eigenen Slogan kreieren.

A propos Demokratie, SVP und so. Es war doch diese Woche wieder sehr interessant im Bundeshaus. Genau diejenigen Parteien, die sonst das letzte Wort so gerne dem Volk geben und für jeden Quatsch eine Initiative lancieren, genau diese Parteien halten es offensichtilch nicht für nötig, die Frage, ob man mal schnell 5 Mia. für neue Kampfjets ausgeben will, dem Volk vorzulegen. Aber Demokratie ist halt eben v.a. dann gäbig, wenn man vom "Volk" zu profitieren scheint. Oder vielleicht ist das auch nur eine Sparmassnahme: man will sich die teure Volksabstimmung schenken, da man ja schliesslich den Willen des Volkes kennt. Wieso sollte man es noch fragen wollen/müssen?

Montag, 23. Mai 2011

1989 – Die andere Wende: Wie Khomeinis Fatwa den Westen veränderte - Teil 3

Im Januar 1989, rund zehn Monate vor dem Fall der Berliner Mauer, demonstrierten im nordenglischen Bradford rund 1000 Muslime gegen Salman Rushdies Buch „Die Satanischen Verse“ und verbrannten es. Der an sich unbedeutende Anlass war ein Vorbote für die künftigen spannungsreichen Beziehungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Der britische Autor Kenan Malik geht in seinem neusten Werk „From Fatwa to Jihad“ der Frage nach, wie es dazu kommen konnte, dass in Grossbritannien aufgewachsene Muslime zuerst Bücher verbrannten und schliesslich (2005) Bomben in der Londoner U-Bahn zündeten.

Für Kenan Malik ist das Erstarken des islamischen Fundamentalismus in Europa und speziell in Grossbritannien die direkte Folge einer völlig verfehlten und blinden Politik im Inneren wie im Äusseren. Besonders erhellend sind hierbei die Entwicklungen, die der Autor für die (britische) Innenpolitik aufzeigt.
Sein Ansatz liegt in den Rassenunruhen der 70er und 80er Jahre in England. Ein England, das aufgrund seines kolonialen Erbes und der schweren Wirtschaftskrise von tiefreichendem Rassismus gekennzeichnet ist. Der Autor selber erfuhr dies am eigenen Leibe. Während die erste Einwanderergeneration dies hinnahm, weil sie beschäftigt war, eine Existenz aufzubauen, kämpfte die junge, in England geborene und oft links stehende Altersgruppe gegen diese Benachteiligung an, politisch und in Strassenkämpfen. Das Ziel dieses Kampfes waren gleiche Rechte, gleicher Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, alles Ziele also, die man eigentlich schon aus den Klassenkämpfen der vorigen Jahrzehnte kannte. Doch die jungen Aktivisten hatten noch eine zweite Front, an der sie kämpften: sie hinterfragten den Konservativismus ihrer Eltern, waren gegen arrangierte Ehen und für eine stärkere Stellung der Frauen. Es war also kein Rassenkampf, sondern ein Kampf der jungen Generation, endlich gleichberechtigt in einem modernen England anzukommen. Doch genau als Rassenkampf wurden die Ausschreitungen von den Labour-geprägten Kommunalbehörden und der Thatcher-Regierung aufgefasst. In ihrem Bestreben, die Strassen zu beruhigen, etablierte sie eine völlig neue, völlig verfehlte Politik, die gravierende Folgen haben sollte.
Sie entschied sich, auf die „vernünftigen“ Ausländer zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die ausländischen Gemeinschaften sollten Geld erhalten, wenn sie sich wohlgefällig verhielten. In der Folge wurden riesige Geldmittel (alleine 1983/84 77 Mio. Pfund) eingesetzt und überall im Land „Gesprächsrunden“ eingesetzt. An diesen Gesprächsrunden nahmen ganze 40 (!) Personen teil, die von der Regierung künftig als die Repräsentanten der muslimischen Gemeinschaft gesehen wurden. In ihrer verzweifelten Suche nach Ansprechpartnern machte die Regierung zwei Fehler: zum einen erlag sie dem Irrglauben, dass es so etwas wie eine Einheit unter den Muslimen gebe. Einerseits realisierte sie nicht, dass ihre Gesprächspartner alle aus dem konservativen Lager stammten. Die Folgen dieser Politik waren unheilvoll. Andererseits machte sie die konservativen Kräfte innerhalb der Muslime zu Vertretern aller Muslime. Dies ist in etwa so sinnvoll, wie wenn der Pfarrer in der Schweiz die ganze Gemeine vertreten wollte. Diese Politik öffnete den Islamisten damit Tür und Tor und frustriert zugleich zahlreiche der säkular eingestellten jungen Muslimen aufs heftigste. Zum anderen leitete sie eine Abkehr vom festen Glauben an die allgemeine und universelle Gültigkeit der Werte der Aufklärung ein und ersetzte diese durch eine neue Form von Multi-Kulturalismus bzw. Anti-Rassismus. „Rassismus bedeutete jetzt nicht mehr die Bestreitung gleicher Rechte für alle, sondern die Bestreitung des Rechtes anders zu sein.“ (Malik, S. 59) Praktisch unterstützt wurde dies mit Subventionen für allerlei innerethnische Aktivitäten wie Gemeindezentren etc. Ausländern wurde damit quasi die Fähigkeit abgesprochen, sich zu integrieren. Vielmehr erhielten nur diejenigen Geld, die sich so verhielten, wie man es von „richtigen“ Ausländern erwartet, nämlich ihren Traditionen folgend. Der Staat sah seine Bewohner also nicht als Bürger, die man gleich behandeln musste, sondern als Ethnien, die man alle verschieden behandeln muss. Diese vermeintliche Toleranz-Politik führte aber nicht wie erhofft zu einem bessern Zusammenleben, im Gegenteil. Sie war dafür verantwortlich, dass die Gesellschaft zunehmend in einzelne ethnische Gruppen zerfiel, die immer weniger miteinander zu tun hatten. Sie förderte schliesslich den Aufbau von Sondergesellschaften, die in ihrer eigenen Welt lebten, und schwächte die Anhänger einer säkularen Lebensweise, indem sie die Konservativen zu den Sprechern der Gemeinschaft machte. Langfristig bewirkte sie eine konservative Wende in der muslimischen Gemeinschaft. Die Rushdie-Affäre ist für Malik in dieser Entwicklung ein vorläufiger Höhepunkt.

Wandel der Mentalität
Am meisten stösst sich der überzeugte Liberale Malik aber an der Reaktion der westlichen Politiker auf die Fatwa Khomeinis. Er wirft diesen ein Pseudo-Mitgefühl vor. Denn diejenigen, die –auch bei anderen Gelegenheiten - protestierten und sich verletzt gäben, stellten immer eine kleine Minderheit innerhalb der Muslime dar, während sich die grosse Mehrheit gar nicht angegriffen fühle. Die europäischen Meinungsmacher hielten die lautesten Stimmen aber immer für die massgebenden.
In zunehmendem Masse führe dieses übertriebene Mitgefühl zu einer Selbstzensur aus kleinsten Gründen. Malik beschuldigt den Westen, dass er die Fatwa Khomeinis schon so verinnerlicht habe, dass er gar nicht mehr ernsthaft versuche, das Recht auf freie Meinung zu verteidigen. Als Beispiel führt der den Streit um die Mohammed-Karrikaturen von 2005 an. Damit werde ein Klima geschaffen, in der jede Gruppe, die sich irgendwie angegriffen fühle, gleich nach einem Verbot schreie. Damit gehe die wichtigste Errungenschaft der Aufklärung verloren, die Kritik an Machtstrukturen durch die freie Rede, und werde ersetzt durch einen „Marktplatz der Entrüstung“, auf dem es darauf ankomme, möglichst laut zu schreien, „meine Gefühle sind mehr verletzt als Deine!“ Für Malik sind aber gerade in einer pluralen Welt Konflikte unvermeidbar, da eben die Welt nicht einheitlich ist. Weil aber diese offene Auseinandersetzung nicht mehr gewährleistet sei, entsteht für den Briten eine unheilige Allianz zwischen dem Westen und den Islamisten: indem der Westen die Einrichtung von Tabubereichen innerhalb seiner Gesellschaft erlaube, stärke er diejenigen, die an alten Strukturen festhalten wollten, die Konservativen; genau so, wie er es mit seiner Kulturpolitik getan habe. Der Westen sei deshalb mitschuldig, dass sich die ausländischen Gemeinschaften innerhalb der eigenen Gesellschaft immer konservativer aufführten, da er selber zur Unterdrückung der liberalen Strömungen beitrage.
Die westliche Verbots- und Kusch-Kultur zeigt für Malik einen Mangel an Vertrauen in die eigenen liberalen Werte und eine irrationale Furcht vor islamischen Terroristen. Denn Terror sei noch nie ein Zeichen von Stärke gewesen, sondern von Schwäche. Es zeige, dass die Terroristen die Menschen nicht mit ihren Argumenten überzeugen und auf ihre Seite bringen könnten, deshalb müssten sie auf Gewalt setzen. Der einzige, der in diesem Umfeld von Angst und Paranoia profitiere, sei der Staat, der immer mehr die Kontrolle übernehme. Zum einen mit der Überwachung des Lebens der Bürger, zum anderen bestimme er auch zunehmend über das Denken der Menschen. Denn in einer Gesellschaft, in der die freie Rede durch (Anti-Rassismus-)Gesetze gelenkt werde, entscheide am Schluss der Staat, was erlaub sei und was nicht. Er enthebe damit seine Bürger von der Verantwortung, selber entscheiden zu müssen, was Recht und was Unrecht sei.

Und die Lehren?
Auch wenn der Autor keine ausdrücklichen Belehrungen verteilt, wird die Stossrichtung beim Lesen dennoch klar. Für den eingefleischten Liberalen Malik muss das Recht auf freie Meinungsäusserung ohne Einschränkung gewährt sein. Extreme Ideen, ob sie nun von Rassisten oder Islamisten kommen, müssen mit Argumenten, nicht mit Verboten bekämpft werden. Die Basis dafür ist ein strikt säkularer Staat, der seine Bewohner als Bürger, nicht als Schablonen einer Ethnie behandelt. Zudem muss sich der Staat genau überlegen, mit wem er spricht. Es ist naiv zu glauben, dass einige ausgesuchte religiöse oder weltliche Führer eine ganze Gemeinschaft vertreten können, denn dafür ist diese zu verschieden. Ein pakistanischer Arzt z.B. hat wohl mehr mit einem britischen Arzt gemeinsam als mit einem indischen Schichtarbeiter, ob sie beide nun Muslime sind oder nicht.
Bezogen auf die Schweiz würde dies bedeuten, dass alle die Gesprächsrunden mit Vertretern ausländischer Gruppen wenn nicht abgeschafft, dann sicher auf ihre Zusammensetzung überprüft werden sollten. Und ein säkularer Staat darf es beispielsweise auch nicht hinnehmen, dass einzelne Eltern ihre Kinder vom Schwimmunterricht, Klassenlagern oder anderen zur Ausbildung gehörenden Bereichen der Schule freistellen lassen. Auf der anderen Seite muss dieser Staat aber auch allen seinen Bürgern die gleichen Rechte gewähren. Und in der Schweiz besteht das Recht auf freie Religionsausübung. Was wiederum bedeutet, dass eine Minarett-Initiative abzulehnen ist, da sie die Rechte einzelner Bürger einseitig einschränkt und genau wieder zur Bildung von Einzelgesellschaften wie in England beiträgt.

Kenan Malik (*1960) arbeitet als Journalist, Publizist und Universitätsprofessor in England. Wie Salman Rushdie ist er indischstämmiger, muslimischer Herkunft, aber in Grossbritannien aufgewachsen (www.kenanmalik.com) Sein neustes Buch „From Fatwa to Jihad“ ist bei Atlantic-Books erschienen (ISBN 1-84354-823-2)

1989 – Die andere Wende: Wie Khomeinis Fatwa den Westen veränderte - Teil 2

Kenan Malik zeigt in seinem reich dokumentierten Buch präzise auf, wie es einer islamistischen Minderheit in Grossbritannien gelang, sich als Sprachrohr der muslimischen Gemeinschaft zu etablieren und wie der Staat dabei tüchtig mithalf. Sein Erklärungsansatz ist eng mit der englischen Ausländer- und Kulturpolitik verknüpft.

Vom Klassenkampf zum Rassenkampf
Wie alle westeuropäischen Länder rekrutierte auch England nach dem 2. Weltkrieg viele ausländische Arbeitskräfte, vornehmlich aus seinen ehemaligen Kolonien des indischen Subkontinents. Ein Einwanderungsstopp 1962 brachte nicht die erwünschte Wirkung. Doch die Einwanderer waren nicht überall gerne gesehen. Rassistische Übergriffe waren in England – wohl auch als Erbe des kolonialen Überlegenheitsdenkens – in den 60er, 70er und 80er Jahren an der Tagesordnung. Während die erste Generation von Einwanderern dies mehr oder weniger klaglos akzeptierte, wollten deren Kinder sich nicht damit abfinden, denn sie sahen sich als britische Bürger und wollten als solche behandelt werden. So kam es ab den 70er Jahren regelmässig zu grösseren Rassenunruhen in den Innenstädten der englischen Industriegebiete. Das Ziel dieses Kampfes waren gleiche Rechte, gleicher Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, alles Ziele also, die man eigentlich schon aus den Klassenkämpfen der vorigen Jahrzehnte kannte. Doch die jungen Aktivisten hatten noch eine zweite Front, an der sie kämpften: sie hinterfragten den Konservativismus ihrer Eltern, waren gegen arrangierte Ehen und für eine stärkere Stellung der Frauen. Die Regierung, angefangen bei den Lokalbehörden (Labour) bis zur Thatcher-Regierung, jedoch nahm die Unruhen als Rassenunruhen war und wollte primär, dass Ruhe auf den Strassen einkehrt…. Rassistisch ist damit nicht mehr der, der den Ausländern gleiche Rechte verwehrt, sondern der, der das Recht der Ausländer bestreitet, anders zu sein.

Dienstag, 8. Februar 2011

1989 – Die andere Wende: Wie Khomeinis Fatwa den Westen veränderte - Teil 1

1989 – Die andere Wende: Wie Khomeinis Fatwa den Westen veränderte

Im Januar 1989, rund zehn Monate vor dem Fall der Berliner Mauer, demonstrierten im nordenglischen Bradford rund 1000 Muslime gegen Salman Rushdies Buch „Die Satanischen Verse“ und verbrannten es. Der an sich unbedeutende Anlass war ein Vorbote für die künftigen spannungsreichen Beziehungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Der britische Autor Kenan Malik geht in seinem neusten Werk „From Fatwa to Jihad“ der Frage nach, wie es dazu kommen konnte, dass in Grossbritannien aufgewachsene Muslime zuerst Bücher verbrannten und schliesslich (2005) Bomben in der Londoner U-Bahn zündeten.

Die Rushdie-Affäre
Als Salman Rushdie 1988 sein Buch „Die Satanischen Verse“ veröffentlichte, gehörte er bereits zu den bekanntesten britischen Autoren seiner Zeit. Niemand ahnte, dass dieses Buch die Welt verändern würde. Die Kampagne gegen Rushdies Buch begann in Indien. Nach Beschwerden islamischer Hardliner aus der Gruppe „Jamaat-e-Islami“ liess Premier Rajiv Gandhi das Buch auf die Liste der verbotenen Bücher setzen. Er tat dies aus politischen Gründen, denn in Indien standen Wahlen an und er wollte es sich mit den muslimischen Wählern nicht verscherzen. Dies sollte für lange Zeit die einzige Aktion gegen das Buch bleiben. In vielen islamischen Ländern nahm niemand Anstoss daran, obwohl saudi-arabische Kreise intensiv versuchten, Druck aufzubauen. Im Iran wurde das Buch in den Literaturteilen der Zeitungen besprochen und für schlecht befunden. Aber niemand sah das Buch als eine Gotteslästerung.
Die Situation änderte sich schlagartig, als der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini einen Erlass („Fatwa“) erliess, in der er Salman Rushdie wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilte. Rushdie musste in der Folge für über zehn Jahre untertauchen und von der Polizei beschützt werden. Khomeinis Fatwa hatte vor allem einen politischen Zweck: sie sollte ein Zeichen der Stärke sein gegenüber den zögerlichen Saudis und den Iran im Kampf um die Führungsrolle im moslemischen Lager an die Spitze bringen.
Die Fatwa veränderte in der Folge die Welt. Während eine traditionelle Fatwa nur in islamischen Ländern Wirkung hat, überschritt Khomeini nun diese Grenze und unterwarf quasi alle Muslime auf der Welt seiner Rechtsprechung und trug somit den Konflikt mit dem Westen nach Europa.
In England reagierte man unterschiedlich. Rushdies Verleger war von den Protesten überrascht, hatte man in anderen Fällen doch höchstens Drohbriefe erhalten. Er hielt dennoch, trotz Angst um das Leben der Mitarbeiter, an der Publikation des Buches fest mit Verweis auf die Redefreiheit. Es sollte kein Präzedenzfall geschaffen werden, damit künftig jede sich beleidigt fühlende Gruppe das Erscheinen eines Buches verhindern konnte. Anders jedoch die britische Regierung Thatcher. Diese laviert zwischen offiziellem Widerstand und Entschuldigungen. Dies wird vom iranischen Regime als Schwäche gedeutet und es war schliesslich der Iran, der die diplomatischen Beziehungen abbrach, nicht London. Die Regierungen Grossbritanniens, der USA und anderer westlicher Länder distanzierten sich schliesslich vom Buch und verrieten damit in den Augen Maliks die liberalen Werte von Presse- und Redefreiheit. Zudem brachte der Kniefall den westlichen Staaten keinen Goodwill ein, vielmehr folgten immer neuer Forderungen.


Kenan Malik (*1960) arbeitet als Journalist, Publizist und Universitätsprofessor in England. Wie Salman Rushdie ist er indischstämmiger, muslimischer Herkunft, aber in Grossbritannien aufgewachsen (www.kenanmalik.com) Sein neustes Buch „From Fatwa to Jihad“ ist bei Atlantic-Books erschienen (ISBN 1-84354-823-2)

Mittwoch, 2. Februar 2011

Die Wallstreet schlägt sie alle!

Am heutigen Tage kann man in diversen Medien folgende Meldung lesen:

"Nur zwei Jahre nach dem Beinahekollaps des gesamten Finanzsystems schwimmen die Banker an der Wallstreet schon wieder im Geld. Die 25 grössten Finanzfirmen am Platze haben nach einer Erhebung des "Wall Street Journals" vom Mittwoch die Rekordsumme von 135 Mia. Dollar an ihre Mitarbeiter gezahlt. Das sind knapp 6% mehr als die 128 Mia. Dollar des Jahres 2009" (Nzz online)

Neben den bekannten grundsätzlichen ethischen Fragen zu dieser Vergütungshöhe stellt sich eine andere Frage: die Löhne sind um 6% gestiegen und damit stärker als der Gewinn der Institute! Dies bedeutet zweierlei:
zum einen, dass die schamlose Selbstbedienungsmentalität und Selbstbereicherung in dieser Branche munter weitergeht. Aus der Krise wurde nichts, aber auch gar nichts gelernt, was den Schluss zulässt, dass es wirklich an den verkommenden Charaktere der dort tätigen Leute liegt und nicht nur am "System".
zum anderen wird hier der Aktionär schamlos über den Tisch gezogen, da die Löhne seiner Angstellten stärker steigen als sein eigener Gewinn, für den diese Angstellten eigentlich sorgen sollten. Aber die Aktionäre hätten es ja in der Hand, etwas zu tun. Dafür müssten aber die institutionellen Anleger endlich aktiv werden und sich aus dem Sessel bequemen.

Donnerstag, 27. Januar 2011

Waffeninitiative: welch argumentatorische Fehlschüsse!

Die Wogen kochen hoch im Schweizerlande. Denn unsere Werte und das Land an sich scheinen in Gefahr, denn die Armeewaffe soll ins Zeughaus. Und so hängen sie denn auch wieder bedrohliche Plakate in bekannter Manier auf, die Leute von der "Schweiz-Verteidigungs-Partei."


Doch wie so mancher Schütze, der einmal im Jahr seine Wehrtauglichkeit beim realitätsnahen Beschiessen einer unbeweglichen Kartonscheibe unter Beweis stellt und dabei Nuller an Nuller reiht, genau so schiessen die Gegner der Initiative mit ihren Argumenten leider zu oft daneben.
Hier nur eine kurze Liste der Fehlschüsse:

1) Das Plakat "Waffenmonopol für Verbrecher" ist eine intellektuelle Glanzleistung. Denn das Plakat suggeriert, dass ich mich nicht mehr wehren kann gegen den bösen Mann, weil er eine Knarre hat, ich aber nicht mehr. Die Sache hat nur einen Haken: ich habe keine Knarre! Denn welcher Schweizer trägt sein Sturmgewehr schon im Ausgang oder zur Arbeit mit, um sich gegen denn omnipräsenten BöFei verteidigen zu können? Also mir fallen in Bus und Tram wenige auf. Aber vielleicht haben die einfach grosse Rucksäcke und ich merke es nicht. Kommt dazu, dass ich die Armeewaffe eh nicht brauchen darf (weil verboten) und auch nicht brauchen kann (weil die Munition eingesammelt wurde). Meine einzige Option wäre es also, dem Verbrecher die Flinte nachzuwerfen, nachdem ich das Bajonett aufgepflanzt habe, oder ihn mit dem Kolben zu verdreschen. Ich vermute aber, dass ich bis dahin schon überfallen bin....

2) Das Plakat ist auch deshalb köstlich, weil man ja mal das mit dem Monopol zu Ende denken könnte. Ein Alternativplakat würde nämlich lauten: "Waffenmonopol für Männer?" Denn faktisch haben wir das jetzt: die Männer haben die Knarre, die Frauen dürfen es ausbaden. Wenn die SVP jetzt also den Selbstschutz erhalten und die Waffe zu Hause lassen will, dann müsste sie folgerichtig auch alle Frauen mit einer persönlichen Waffe ausstatten. Denn sind die nicht von Verbrechern bedroht? Und dann wäre im Beziehungsstreit in Punkto Drohpotential endlich Gleichstand. Welch herrliche amerikanische Verhältnisse.

3) Erheiternd finde ich auch das vielgehörte Argument: "Dann müsste man ja auch alle Messer etc. verbieten." Super durchdacht, sage ich da nur. Doch denken wir mal noch schärfer nach. Was ist der Hauptzweck eines Autos? Transport von A nach B. Und ja, ich kann damit jemanden totfahren. Was ist der Hauptzweck eines Messers? Brot etc. schneiden/streichen. Und ja, ich kann damit jemanden erstechen. Was ist der Zwecke eines Schraubenziehers? Eine Schraube hinein- oder herauszudrehen. (was unweigerlich zur Frage führt, warum das Ding dann Schraubenzieher und nicht Schraubendreher heisst). Und ja, ich kann damit jemanden töten. Was ist aber der Hauptzwecke einer Waffe? Etwas oder jemanden zu töten. Weiterer Verwendungszweck? Auf Papscheiben schiessen, juhee. Wer also Waffen mit Messer im Haushalt vergleicht, vergleicht nicht einmal Äpfel mit Birnen, sondern maximal Äpfel mit Fenchel.

4) Und schliesslich noch ein Evergreen: der Wehrmann muss sich mit seiner Waffe auskennen. Auch da kann man einige Überlegungen anstellen.
  • Jeder, der jemals am "Obligatorischen" war, weiss, dass das ein Witz ist. Zum einen verdienen sich immer mehr Schiessvereine etwas dazu, indem sie gegen Entgelt "begleitetes Schiessen" anbieten. D.h. Rundumservice für den Schützen, der nur noch abdrücken muss. Sogar die Waffenreinigung übernehmen die Jungschützen. Somit wird der Übungszweck "Handhabung der Waffe" von den Schützen selber, die jetzt an vorderster Front um ihre Pfründe kämpfen, ad absurdum geführt.
  • Zum anderen ist das "Obligatorische" auch sonst sinnlos, denn welcher Feind wird sich in 300m Distanz gut sichtbar und unbeweglich hinstellen, damit wir lange zielen und ihn dann in aller Ruhe abknallen können? Eher wenige, allenfalls die Österreicher oder Ostfriesen...
  • Zudem: in den letzten Jahren wurde in den WK im Militär immer weniger geschossen. Ich habe ganze WK absolviert, ohne einen Schuss abzufeuern. Müsste die Waffenhandhabung nicht dort geübt werden? Und wenn ja: geht das nicht auch mit einer Leihwaffe?

5) Zuguterletzt liest und hört man auch immer mal wieder den Verlust von Schweizer Werten, der drohe. Oje, also wenn die Waffe im Schrank das einzige ist, das mich zum Schweizer und stolz macht, dann müssten wir mal über unser Selbstverständnis nachdenken. Und der drohende Niedergang des Schiesssportes? Sorry, aber ein Handballclub verlangt auch nicht vom Bund, dass zehntausende Schweizer zu ihm ins Zwangstraining müssen, weil das gut für den Handgranateneinsatz wäre, und kassiert dafür noch Subventionen.

Kurz: der einzige Grund der Initiativgegner, der einigermassen plausibel ist, ist derjenige, dass das Anvertrauen einer Waffe ein Vertrauensbeweis des Staates an den Bürger ist. Doch ich hätte fast lieber, er würde mir sein Vertrauen dadurch zeigen, dass er mich nicht weiter reglementiert.

Doch auch die Befürworter sind auf dem Holzweg. Sie glauben nämlich, dass die Einführung eines Verwaltungsaktes, u.a. die Registrierung aller Waffen, das Problem der häuslichen Gewalt oder des Suizides wenigstens teilweise löst. Das bleibt zu bezweifeln.