Montag, 23. Mai 2011

1989 – Die andere Wende: Wie Khomeinis Fatwa den Westen veränderte - Teil 3

Im Januar 1989, rund zehn Monate vor dem Fall der Berliner Mauer, demonstrierten im nordenglischen Bradford rund 1000 Muslime gegen Salman Rushdies Buch „Die Satanischen Verse“ und verbrannten es. Der an sich unbedeutende Anlass war ein Vorbote für die künftigen spannungsreichen Beziehungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Der britische Autor Kenan Malik geht in seinem neusten Werk „From Fatwa to Jihad“ der Frage nach, wie es dazu kommen konnte, dass in Grossbritannien aufgewachsene Muslime zuerst Bücher verbrannten und schliesslich (2005) Bomben in der Londoner U-Bahn zündeten.

Für Kenan Malik ist das Erstarken des islamischen Fundamentalismus in Europa und speziell in Grossbritannien die direkte Folge einer völlig verfehlten und blinden Politik im Inneren wie im Äusseren. Besonders erhellend sind hierbei die Entwicklungen, die der Autor für die (britische) Innenpolitik aufzeigt.
Sein Ansatz liegt in den Rassenunruhen der 70er und 80er Jahre in England. Ein England, das aufgrund seines kolonialen Erbes und der schweren Wirtschaftskrise von tiefreichendem Rassismus gekennzeichnet ist. Der Autor selber erfuhr dies am eigenen Leibe. Während die erste Einwanderergeneration dies hinnahm, weil sie beschäftigt war, eine Existenz aufzubauen, kämpfte die junge, in England geborene und oft links stehende Altersgruppe gegen diese Benachteiligung an, politisch und in Strassenkämpfen. Das Ziel dieses Kampfes waren gleiche Rechte, gleicher Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, alles Ziele also, die man eigentlich schon aus den Klassenkämpfen der vorigen Jahrzehnte kannte. Doch die jungen Aktivisten hatten noch eine zweite Front, an der sie kämpften: sie hinterfragten den Konservativismus ihrer Eltern, waren gegen arrangierte Ehen und für eine stärkere Stellung der Frauen. Es war also kein Rassenkampf, sondern ein Kampf der jungen Generation, endlich gleichberechtigt in einem modernen England anzukommen. Doch genau als Rassenkampf wurden die Ausschreitungen von den Labour-geprägten Kommunalbehörden und der Thatcher-Regierung aufgefasst. In ihrem Bestreben, die Strassen zu beruhigen, etablierte sie eine völlig neue, völlig verfehlte Politik, die gravierende Folgen haben sollte.
Sie entschied sich, auf die „vernünftigen“ Ausländer zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die ausländischen Gemeinschaften sollten Geld erhalten, wenn sie sich wohlgefällig verhielten. In der Folge wurden riesige Geldmittel (alleine 1983/84 77 Mio. Pfund) eingesetzt und überall im Land „Gesprächsrunden“ eingesetzt. An diesen Gesprächsrunden nahmen ganze 40 (!) Personen teil, die von der Regierung künftig als die Repräsentanten der muslimischen Gemeinschaft gesehen wurden. In ihrer verzweifelten Suche nach Ansprechpartnern machte die Regierung zwei Fehler: zum einen erlag sie dem Irrglauben, dass es so etwas wie eine Einheit unter den Muslimen gebe. Einerseits realisierte sie nicht, dass ihre Gesprächspartner alle aus dem konservativen Lager stammten. Die Folgen dieser Politik waren unheilvoll. Andererseits machte sie die konservativen Kräfte innerhalb der Muslime zu Vertretern aller Muslime. Dies ist in etwa so sinnvoll, wie wenn der Pfarrer in der Schweiz die ganze Gemeine vertreten wollte. Diese Politik öffnete den Islamisten damit Tür und Tor und frustriert zugleich zahlreiche der säkular eingestellten jungen Muslimen aufs heftigste. Zum anderen leitete sie eine Abkehr vom festen Glauben an die allgemeine und universelle Gültigkeit der Werte der Aufklärung ein und ersetzte diese durch eine neue Form von Multi-Kulturalismus bzw. Anti-Rassismus. „Rassismus bedeutete jetzt nicht mehr die Bestreitung gleicher Rechte für alle, sondern die Bestreitung des Rechtes anders zu sein.“ (Malik, S. 59) Praktisch unterstützt wurde dies mit Subventionen für allerlei innerethnische Aktivitäten wie Gemeindezentren etc. Ausländern wurde damit quasi die Fähigkeit abgesprochen, sich zu integrieren. Vielmehr erhielten nur diejenigen Geld, die sich so verhielten, wie man es von „richtigen“ Ausländern erwartet, nämlich ihren Traditionen folgend. Der Staat sah seine Bewohner also nicht als Bürger, die man gleich behandeln musste, sondern als Ethnien, die man alle verschieden behandeln muss. Diese vermeintliche Toleranz-Politik führte aber nicht wie erhofft zu einem bessern Zusammenleben, im Gegenteil. Sie war dafür verantwortlich, dass die Gesellschaft zunehmend in einzelne ethnische Gruppen zerfiel, die immer weniger miteinander zu tun hatten. Sie förderte schliesslich den Aufbau von Sondergesellschaften, die in ihrer eigenen Welt lebten, und schwächte die Anhänger einer säkularen Lebensweise, indem sie die Konservativen zu den Sprechern der Gemeinschaft machte. Langfristig bewirkte sie eine konservative Wende in der muslimischen Gemeinschaft. Die Rushdie-Affäre ist für Malik in dieser Entwicklung ein vorläufiger Höhepunkt.

Wandel der Mentalität
Am meisten stösst sich der überzeugte Liberale Malik aber an der Reaktion der westlichen Politiker auf die Fatwa Khomeinis. Er wirft diesen ein Pseudo-Mitgefühl vor. Denn diejenigen, die –auch bei anderen Gelegenheiten - protestierten und sich verletzt gäben, stellten immer eine kleine Minderheit innerhalb der Muslime dar, während sich die grosse Mehrheit gar nicht angegriffen fühle. Die europäischen Meinungsmacher hielten die lautesten Stimmen aber immer für die massgebenden.
In zunehmendem Masse führe dieses übertriebene Mitgefühl zu einer Selbstzensur aus kleinsten Gründen. Malik beschuldigt den Westen, dass er die Fatwa Khomeinis schon so verinnerlicht habe, dass er gar nicht mehr ernsthaft versuche, das Recht auf freie Meinung zu verteidigen. Als Beispiel führt der den Streit um die Mohammed-Karrikaturen von 2005 an. Damit werde ein Klima geschaffen, in der jede Gruppe, die sich irgendwie angegriffen fühle, gleich nach einem Verbot schreie. Damit gehe die wichtigste Errungenschaft der Aufklärung verloren, die Kritik an Machtstrukturen durch die freie Rede, und werde ersetzt durch einen „Marktplatz der Entrüstung“, auf dem es darauf ankomme, möglichst laut zu schreien, „meine Gefühle sind mehr verletzt als Deine!“ Für Malik sind aber gerade in einer pluralen Welt Konflikte unvermeidbar, da eben die Welt nicht einheitlich ist. Weil aber diese offene Auseinandersetzung nicht mehr gewährleistet sei, entsteht für den Briten eine unheilige Allianz zwischen dem Westen und den Islamisten: indem der Westen die Einrichtung von Tabubereichen innerhalb seiner Gesellschaft erlaube, stärke er diejenigen, die an alten Strukturen festhalten wollten, die Konservativen; genau so, wie er es mit seiner Kulturpolitik getan habe. Der Westen sei deshalb mitschuldig, dass sich die ausländischen Gemeinschaften innerhalb der eigenen Gesellschaft immer konservativer aufführten, da er selber zur Unterdrückung der liberalen Strömungen beitrage.
Die westliche Verbots- und Kusch-Kultur zeigt für Malik einen Mangel an Vertrauen in die eigenen liberalen Werte und eine irrationale Furcht vor islamischen Terroristen. Denn Terror sei noch nie ein Zeichen von Stärke gewesen, sondern von Schwäche. Es zeige, dass die Terroristen die Menschen nicht mit ihren Argumenten überzeugen und auf ihre Seite bringen könnten, deshalb müssten sie auf Gewalt setzen. Der einzige, der in diesem Umfeld von Angst und Paranoia profitiere, sei der Staat, der immer mehr die Kontrolle übernehme. Zum einen mit der Überwachung des Lebens der Bürger, zum anderen bestimme er auch zunehmend über das Denken der Menschen. Denn in einer Gesellschaft, in der die freie Rede durch (Anti-Rassismus-)Gesetze gelenkt werde, entscheide am Schluss der Staat, was erlaub sei und was nicht. Er enthebe damit seine Bürger von der Verantwortung, selber entscheiden zu müssen, was Recht und was Unrecht sei.

Und die Lehren?
Auch wenn der Autor keine ausdrücklichen Belehrungen verteilt, wird die Stossrichtung beim Lesen dennoch klar. Für den eingefleischten Liberalen Malik muss das Recht auf freie Meinungsäusserung ohne Einschränkung gewährt sein. Extreme Ideen, ob sie nun von Rassisten oder Islamisten kommen, müssen mit Argumenten, nicht mit Verboten bekämpft werden. Die Basis dafür ist ein strikt säkularer Staat, der seine Bewohner als Bürger, nicht als Schablonen einer Ethnie behandelt. Zudem muss sich der Staat genau überlegen, mit wem er spricht. Es ist naiv zu glauben, dass einige ausgesuchte religiöse oder weltliche Führer eine ganze Gemeinschaft vertreten können, denn dafür ist diese zu verschieden. Ein pakistanischer Arzt z.B. hat wohl mehr mit einem britischen Arzt gemeinsam als mit einem indischen Schichtarbeiter, ob sie beide nun Muslime sind oder nicht.
Bezogen auf die Schweiz würde dies bedeuten, dass alle die Gesprächsrunden mit Vertretern ausländischer Gruppen wenn nicht abgeschafft, dann sicher auf ihre Zusammensetzung überprüft werden sollten. Und ein säkularer Staat darf es beispielsweise auch nicht hinnehmen, dass einzelne Eltern ihre Kinder vom Schwimmunterricht, Klassenlagern oder anderen zur Ausbildung gehörenden Bereichen der Schule freistellen lassen. Auf der anderen Seite muss dieser Staat aber auch allen seinen Bürgern die gleichen Rechte gewähren. Und in der Schweiz besteht das Recht auf freie Religionsausübung. Was wiederum bedeutet, dass eine Minarett-Initiative abzulehnen ist, da sie die Rechte einzelner Bürger einseitig einschränkt und genau wieder zur Bildung von Einzelgesellschaften wie in England beiträgt.

Kenan Malik (*1960) arbeitet als Journalist, Publizist und Universitätsprofessor in England. Wie Salman Rushdie ist er indischstämmiger, muslimischer Herkunft, aber in Grossbritannien aufgewachsen (www.kenanmalik.com) Sein neustes Buch „From Fatwa to Jihad“ ist bei Atlantic-Books erschienen (ISBN 1-84354-823-2)

1989 – Die andere Wende: Wie Khomeinis Fatwa den Westen veränderte - Teil 2

Kenan Malik zeigt in seinem reich dokumentierten Buch präzise auf, wie es einer islamistischen Minderheit in Grossbritannien gelang, sich als Sprachrohr der muslimischen Gemeinschaft zu etablieren und wie der Staat dabei tüchtig mithalf. Sein Erklärungsansatz ist eng mit der englischen Ausländer- und Kulturpolitik verknüpft.

Vom Klassenkampf zum Rassenkampf
Wie alle westeuropäischen Länder rekrutierte auch England nach dem 2. Weltkrieg viele ausländische Arbeitskräfte, vornehmlich aus seinen ehemaligen Kolonien des indischen Subkontinents. Ein Einwanderungsstopp 1962 brachte nicht die erwünschte Wirkung. Doch die Einwanderer waren nicht überall gerne gesehen. Rassistische Übergriffe waren in England – wohl auch als Erbe des kolonialen Überlegenheitsdenkens – in den 60er, 70er und 80er Jahren an der Tagesordnung. Während die erste Generation von Einwanderern dies mehr oder weniger klaglos akzeptierte, wollten deren Kinder sich nicht damit abfinden, denn sie sahen sich als britische Bürger und wollten als solche behandelt werden. So kam es ab den 70er Jahren regelmässig zu grösseren Rassenunruhen in den Innenstädten der englischen Industriegebiete. Das Ziel dieses Kampfes waren gleiche Rechte, gleicher Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, alles Ziele also, die man eigentlich schon aus den Klassenkämpfen der vorigen Jahrzehnte kannte. Doch die jungen Aktivisten hatten noch eine zweite Front, an der sie kämpften: sie hinterfragten den Konservativismus ihrer Eltern, waren gegen arrangierte Ehen und für eine stärkere Stellung der Frauen. Die Regierung, angefangen bei den Lokalbehörden (Labour) bis zur Thatcher-Regierung, jedoch nahm die Unruhen als Rassenunruhen war und wollte primär, dass Ruhe auf den Strassen einkehrt…. Rassistisch ist damit nicht mehr der, der den Ausländern gleiche Rechte verwehrt, sondern der, der das Recht der Ausländer bestreitet, anders zu sein.