Donnerstag, 28. Januar 2010

Bologna - Oder wie man eine Reform in den Sand setzt!

Vermutlich ärgert sich der Stadtrat von Bologna heute noch grün und blau, dass er sich anno dazumal als Tagungsort für die Bildungsminister Europas zur Verfügung gestellt hat. Schliesslich ist - wenigstens unter akademischer Klientel - kaum eine Stadt - oder zumindest die damit verbundene Reform der Hochschulen - so verhasst wie Bologna. Tourismusförderung sieht anders aus.



Doch weshalb ist diese grösste Reform des europäischen Bildungswesens derart kläglich gescheitert und weshalb regt sich v.a. an kontinentaleuropäischen Universitäten so heftiger Widerstand?



Das Problem liegt nicht so sehr darin, dass die Prüfungsdichte - v.a. in den Geisteswissenschaften - erhöht oder dass eine Präsenzpflicht eingeführt wurde. Auch wenn letztere grundsätzlich lächerlich ist, denn das einzige, was zählt, sind bestandene Prüfungen, basta!

Das Problem ist vielmehr darin zu sehen, dass die Voraussetzungen für die Reform nicht gegeben und die Umsetzungen durch die Universitäten miserabel waren.



Problem Voraussetzungen: Die Bologna-Macher orientierten sich in ihren edlen Bemühungen an angelsächsischen Elite-Unis à la Oxford, Cambridge, Harvard, Yale etc. Sie übersahen dabei aber eine Kleinigkeit: diese Unis sind nicht so gut, weil sie eine hohe Prüfungskadenz und einen straffen Stundenplan haben. Diese Unis sind so gut, weil sie ein extrem intensives und persönliches Betreuungssystem haben. An der Uni Oxford z.B. hat jeder Student seinen persönlichen Tutor, sprich Studienbetreuer. Jede Arbeit, jeder Aufsatz, jede Prüfung wird zusammen mit diesem im 1:1 Gespräch besprochen, die Fehler analysiert und Verbesserungsmöglichkeiten gesucht. Zudem gibt es in Oxford keine Massenveranstaltungen mit 500 oder mehr Studenten, sondern es wird in Kleingruppen gearbeitet, in denen man intensiv vom Dozenten "rangenommen" wird. In so einem System machen häufige Prüfungen und Präsenzpflicht Sinn, da ich als Student wertvolle Rückmeldungen bekomme.

Der Haken an der Sache: dieses System ist sehr personal- und damit kostenintensiv. Unsere superschlauen Bildungspolitiker haben nun zwar das System zu kopieren versucht, haben aber nicht daran gedacht, dass dies auch massive Investitionen braucht. Geld, das man nicht hat oder das man nicht ausgeben will. Damit stehen wir an hiesigen Universitäten nun vor der wahnwitzigen und paradoxen Situation, dass man für jeden noch so kleinen Kurs einen teilweise mehr als blödsinnigen "Leistungsnachweis" in Form eines schriftlichen Papiers oder einer Prüfung erbringen muss, dass man damit aber v.a. die viel zu wenigen Betreuungspersonen überfordert, die aus dem korrigieren gar nicht mehr herauskommen. Für eine Besprechung der Arbeiten bleibt da schon gar keine Zeit. Als Student bekomme ich als gar keine Rückmeldung zu dem, was ich falsch oder gut gemacht habe; somit kann ich auch gar nicht davon profitieren. Dies führt dazu, dass diese Prüfungen v.a. als "Belästigung" empfunden werden.

Wer die Situation wirklich verbessern will, muss deshalb den so genannten akademischen Mittelbau (Betreuer, Assistenten) massiv ausbauen und fördern. Damit würde es vielleicht auch wieder für Schweizer attraktiver, eine akademische Laufbahn einzuschlagen und man müsste nicht auf deutsche Professoren ausweichen. Eine weitere Möglichkeit wäre die Trennung der Professuren in Forschungs- und Lehrprofessur, so dass sich brillante Forscher, die meistens miserable Lehrer sind, auf die Forschung, und ausgewiesene Lehrer auf die Ausbildung konzentrieren könnten.



Problem der Umsetzung: Neben den unzulänglichen personellen Ressourcen haben die meisten Universitäten v.a. bei der Umsetzung der neuen Struktur völlig versagt. Anstatt einer Aufteilung in 2 Jahre Grundstudium (ohne offiziellen Abschluss) und zwei Jahre Hauptstudium (mit Lizentiats-Abschluss) sieht Bologna einen zweiteiligen Aufbau mit jeweiligen Abschlüssen vor: 3 Jahre Bacchelor-Studium mit Bacchelor-Diplom und 1.5-2 Jahre Masterstudium mit Master-Diplom. Die Misere ist nun zweierlei:

Erstens: die Baccherlor-Abschlüsse mögen für die Wirtschaftswissenschaften gut sein, doch in den meisten anderen Fächern taugen sie nichts. So klagen viele Juristen, dass die Studenten, die nach drei Jahren abschliessen, wenig bis nichts können. Faktisch ist man also in vielen Bereichen mit einem Bacchelor schwer vermittelbar.

Zweitens: die wenigsten Professoren und Abteilungen haben ihre Lehre wirklich den neuen Umständen angepasst. Anstatt sich zu überlegen, dass ein neuer Studienaufbau auch eine völlige Neuordnung der Studieninhalte und der Reihenfolge der Fächer etc. bedingt, machen die meisten weiter wie zuvor. Was vorher in vier Jahren unterrichtet wurde, muss jetzt halt in drei Jahren reingedrängt werden. Oder anders gesagt: Alter Wein in neuen Schläuchen. Dies führt zu einer Überlastung der Bacchelor-Studiengänge und einer Planlosigkeit der Master-Studien.

Wer also die Reform in dieser Beziehung retten will, sollte endlich - mit Jahren Verspätung - seinen Studienaufbau überdenken und seine Lehre den Umständen anpassen. Nicht nur die Studenten sind gefordert, auch die Professoren sind es!